29. Apr. 202114 Minute/n Lesedauer

Ein Interview mit Samira Mahboub und Zaid Charkaoui von Limala.

von Cara von Beust

Wir haben mit Samira Mahboub und Zaid Charkaoui, den Gründer*innen des Berliner Labels Limala, darüber gesprochen, wie und warum sie sich der marokkanischen Handwerkskunst widmen, inwiefern sie auf kulturelles Storytelling achten und warum emotional aufgeladene Produkte immer wichtiger werden.

Limala widmet sich der marokkanischen Handwerkskunst im Rahmen von handgemachten Teppichen und zelebriert diese in Zusammenarbeit mit kleinen Familienunternehmen in Marokkos Atlasgebirge.

Das Unternehmen versteht sich als dekoloniales Kulturprojekt, das einen narrativen Fokus auf das reiche Kulturerbe Marokkos und die Schönheit des ‚Slow Manual Labour‘ (langsame, oder zeitintensive Handarbeit) legt.

Bevor wir tiefer einstehen: Wann und wie seid ihr auf die Idee gekommen, Limala zu gründen?

Die Frage nach der Gründung von Limala ist unmittelbar mit unserer privaten Geschichte verwoben. Als Zaid und ich 2017 in Casablanca heirateten und ein Jahr später nach Berlin gezogen sind, hatten wir eine gemeinsame Vision: Wir wollten unsere Vorstellung von und Liebe für Marokko mit den Menschen in Berlin/Deutschland teilen. Weil wir beide große Liebhaber der marokkanischen Handwerkskunst sind und vor allem das traditionelle Kunsthandwerk von Teppichen sehr wertschätzen, war uns sehr schnell klar, dass wir handgeknüpfte Teppiche aus dem marokkanischen Atlasgebirge zu Limalas Mittelpunkt machen wollen. Was gibt es denn Schöneres, als einen handgefertigten Teppich, beseelt mit einem reichen Kulturerbe und eingeknüpften Geschichten, in seiner Wohnung liegen zu haben?

Nach unserer Entscheidung, Limala zu gründen, war der erste Schritt eine lange und spannende Reise durch das Atlasgebirge. Dabei begaben wir uns auf die Suche nach Artisan Communities, die für ihre Teppichhandwerkskunst bekannt sind. Diese Kontakte haben uns nachhaltig geprägt und tun dies noch heute. Ende 2019 war Limala geboren.

Wo produziert ihr eure Produkte?

Limala Teppiche werden ausschließlich im marokkanischen Atlasgebirge hergestellt. Wir arbeiten hauptsächlich mit kleinen Familienunternehmen zusammen, die wir während unserer Reise kennengelernt haben. Für uns als Limala ist es essentiell, dass wir der Verantwortung, die automatisch mit unserer Positionierung hier im sogenannten Globalen Norden einhergeht, gerecht werden und eine Arbeitsbeziehung mit den Artisan Communities aufbauen, die auf Augenhöhe und gegenseitiger Wertschätzung basiert. Das ist leider heute noch immer nicht die Norm.

 

Die Tatsache, dass wir darauf achten, wo unsere Teppiche produziert werden, ist aber genauso wichtig, wie die Frage danach, WER die Teppiche produziert. An die Quelle zu gehen und mit den Teppichkünstlerinnen direkt in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten macht die Arbeitsbeziehung persönlich und dementsprechend wertvoll. Da wir nicht ständig vor Ort sein können, basiert unser Produktions- und Kommunikationsprozess auf gegenseitigem Vertrauen und Geduld. Weil das Dorf mit dem wir hauptsächlich zusammen arbeiten, sehr tief im Atlasgebirge liegt, kann es manchmal ein paar Tage dauern, bis wir von unserem Team hören. Aber all das ist ein wesentlicher Teil dessen, woran wir den Wert von Slow Manual Labour erkennen.

Warum denkst du, dass immer mehr Menschen kleinere Unternehmen unterstützen und darauf achten, wo und wie ihre Produkte gefertigt werden?

Das ist eine sehr wichtige Frage, denn sie weist darauf hin, dass sich etwas verändert. Ich beobachte definitiv, dass ein Umdenken im Rahmen einer kritischen Reflexion bezüglich des eigenen Konsumverhaltens stattfindet. Nach jahrelangem, unreflektierten Überkonsum (eines der Symptome des Kapitalismus) wird die Frage danach, WIE produziert wird, immer häufiger gestellt. Die Tendenz, bewusster zu konsumieren beobachte ich auch an mir selbst. Im Laufe der Jahre hat sich bei mir immer stärker ein Bewusstsein dafür entwickelt, darauf zu achten wo, wie und unter welchen Bedingungen meine Konsumgüter hergestellt werden. Heute sind diese Faktoren ein bedingendes Entscheidungskriterium für mich, ob ich etwas kaufe oder nicht.

 

Ich glaube, diese Entwicklung in der Gesellschaft liegt unter anderem daran, dass die unmenschlichen und ausbeuterischen Bedingungen, unter denen vor allem große Unternehmen und Konzerne produzieren, durch stärkere Aufklärung (generell und in soziale Medien) immer sichtbarer gemacht werden. Ob aus moralischen oder trend-gesteuerten Gründen-: der Fokus richtet sich zunehmend auf kleine Unternehmen, bei denen die Produktion und Lieferketten meist transparenter und fairer gestaltet sind.

Dabei darf aber leider nicht vergessen werden, dass aber auch kleine Unternehmen ausbeuten können und der wachsende soziale Imperativ nach bewusstem und ethischem Konsum bereits als Marketingstrategie von vielen kleinen und großen Unternehmen instrumentalisiert wird. Wir als Konsument*innen haben bei jedem Kauf die Verantwortung, zweimal hinzuschauen bevor wir etwas kaufen.

 

Eine weitere Beobachtung, die ich bei meiner Arbeit mit Limala mache ist, dass es ein wachsendes Bedürfnis der Menschen gibt, sich mit den Produkten, die sie kaufen, emotional zu verbinden. Es geht schon lange nicht mehr nur noch um ein entfremdetes leeres Produkt, sondern darum, dass das Produkt mit Geschichten aufgeladen ist. Es geht um persönliche, echte Verbindungen und um andere Realitäten, in die eingetaucht werden können. Und diese Geschichten und Emotionen lassen sich oft in kleinen Unternehmen wiederfinden.

Viele Menschen träumen davon, selbst ein Unternehmen zu gründen. Vor allem auch mit einem höheren Sinn, einer klaren Mission. Nur die Umsetzung ist oft schwerer als gedacht. Welche Tipps würdest du jungen UnternehmerInnen geben, um loszulegen?

Wichtig war es für uns, sich genau zu visualisieren was die eigene Mission ist. Diese Vorstellung und Idee wiederum in ein klares Ziel zu formulieren und sich dabei zu überlegen, auf welchem Selbstverständnis und auf welcher Wertehierarchie das eigene Projekt aufgebaut werden soll. Natürlich kann sich die eigene Vision im Laufe der Zeit auch verändern und nichts sollte in Stein gemeißelt sein. Jeden Tag wachsen Zaid und ich mehr in die Rolle als Unternehmer und Unternehmerin hinein und nehmen unseren Mut aufs Neue zusammen, nicht perfekt zu sein und eventuell Fehler zu machen.

Dieser Punkt ist vor allem für diejenigen wichtig, die den Anspruch haben, dass vor allem am Anfang immer alles perfekt sein müsse. Nein, das muss es nicht. “Learning by doing” und Geduld mit sich selbst zu haben sind wesentlich für die Anfänge von Unternehmensgründung. Ich selbst musste lernen, an so vielen Stellen abzugeben und Vertrauen in einen Prozess zu haben, der sich mit Zeit und Erfahrung weiter formt. Genauso wie unser Unternehmen mit der Zeit wächst, so wachsen auch wir in unserer Rolle als Unternehmer*innen zusammen.

 

Der wichtigste Aspekt aber, der mir die Stärke gibt, Limala mit Selbstvertrauen zu führen, ist meine Intuition und emotionale Involvierung in das Projekt. Entgegen des gesellschaftlich bewährten Imperativs, sein eigenes Business mit Vernunft, Kalkül und Logik zu führen, plädiere ich dafür – ohne natürlich Vernunft komplett zu eliminieren – sein eigenes Business zu emotionalisieren. Wenn etwas aus dem Herzen kommt und sich eine tiefe Überzeugung dahinter verbirgt, wirst du authentisch, echt und persönlich. Und genau danach sehnen wir uns als Menschen.

Die Pandemie hat viele kleinere, junge Unternehmen in Schwierigkeiten gebracht. War das bei euch auch so? Wie schöpft ihr immer wieder neuen Mut und bleibt eurem Weg treu?

Tatsächlich ist es ist zu Corona Zeiten eine sehr große Herausforderung, ein Business neu aufzubauen. Wir haben Limala Ende 2019 gegründet und sind seitdem vor allem mit Schwierigkeiten auf logistischer Ebene konfrontiert. Es war nicht einfach auszuhalten, als letzten Sommer der Grenzverkehr zu Marokko gekappt wurde und unsere Bestellungen über Monate festsaßen. Das ist natürlich ein Problem, auf das viele andere kleine Labels auch stoßen. Geduld und vorausschauendes Planen sind hierbei besonders wichtig.

 

Das Schöne ist, dass unsere Limala Vision und Mission gleichzeitig unsere Quelle der Kraft ist. Wie bereits erwähnt, begreifen wir uns nicht ‘nur’ als Interior Brand, das wunderschöne handgemachte Teppiche anbietet, sondern auch als eine Plattform, die dekolonial und bildungspolitisch arbeitet. Kulturelles Storytelling und Aufklärung (etwa über das problematische Wort ‘Berber’) ist uns genauso wichtig wie unsere Produkte. Das Wort ‘Berber’ ist tatsächlich eine koloniale Fremdbezeichnung und stammt aus dem griechischen Wort ‘barbaros’ (barbarisch) und markiert demnach die amazighische ‘indigene’ Bevölkerung Marokkos (und darüber hinaus alle Imazighen) als ‘Barbaren’).

Da wir als Gründer*in von Limala beide marokkanische Wurzeln haben, fühlen wir ein besonderes Maß an Verantwortung über diese Dinge aufzuklären. Interior Design mit Bildungsarbeit zu vereinbaren ist zwar eine sehr große Herausforderung, aber gleichzeitig auch unser treibender Motor – vor allem in schwierigen Corona Zeiten, in denen wir noch mehr Geduld und Ausdauer benötigen.

Wie schlagt ihr den Bogen zwischen Zeitlosigkeit und Trends?

Das ist eine spannende Frage, bei der wir vielleicht eine eher ungewöhnliche Antwort haben. Spannend, weil Zeitlosigkeit und Trendverständnis immer damit zusammenhängen, für wen und vor allem wo etwas als zeitlos und trendig gilt. Unsere Azilal Teppiche zum Beispiel (Teppiche mit einer off-white Grundfarbe und bunten geometrischen Formen) sind für die marokkanische Handwerkskunst zeitlose und traditionelle Musterkombinationen, die bereits seit Jahrhunderten von Teppichknüpferinnen so angefertigt werden. In Marokko kann man sie also als ‚zeitlos‘ verstehen, während diese Teppiche hier – etwa in Deutschland – als trendig gelten.

Ähnlich verhält es sich auch mit den Boucheroite Teppichen, die in Marokko aufgrund von Not und Sparsamkeit mit alten Stoffen und Klamotten up-cycled werden und keinem direkten Trend sondern eher einem Zwecksverständnis folgen. Das Phänomen von Up-Cycling wiederum ist hier in Deutschland ein immer größer werdender Trend. Wir haben somit eine intrinsische Verflechtung von Zeitlosigkeit und Trend bei Limala, was vielleicht eines unserer größten Vorzüge ist. Auch bieten wir eine von Zaid selbst designte Teppichkollektion an. Die traditionellen Amazigh Muster sind Ausgangspunkt für die Inspiration seiner Designs. Diese Muster werden aber unausweichlich durch Zaids ‚Diaspora-Blick‘ stilistisch und individuell angepasst. Die eigene Limala Kollektion ist definitiv unser Aushängeschild, das Elemente eines reichen Kulturerbes und Diaspora Gegenwart zusammenbringt.

Gibt es etwas, was ihr mit der Gründung von Limala gelernt habt?

Für uns ist wirklich jeder Tag ein Lernprozess. Da wir beide weder eine Ausbildung noch ein Studium im Bereich Unternehmensführung, Business Administration oder ähnlichem absolviert haben, ist für uns jeder Schritt in gewisser Weise Neuland. Aber genau deswegen ist dieser Weg auch so spannend: Von Einkauf, Logistik, Buchhaltung, Marketing, PR bis hin zu Kundenmanagement – all das sind Bereiche, in denen wir autodidaktisch zu Expert*innen werden. Auch selbstständig zu sein und gleichzeitig das Business mit dem Ehepartner zu führen ist eine Herausforderung, an der wir gemeinsam wachsen. Wir lernen Grenzen zu setzen und uns genau einzuteilen, wann wir Business- und wann Ehepartner sind. Wir haben hier bestimmt noch Verbesserungspotenzial, aber wir sind auf einem guten Weg.

 

Ein anderer wesentlicher Aspekt, den die Arbeit mit Limala uns lehrt ist, dass Druck und Schnelligkeit unser Unternehmen nicht unbedingt vorantreiben. Wir stellen fest, dass vielmehr stetiges und regelmäßiges Wachstum langfristig vielversprechender ist, als explosives. Auch lernen wir, was es bedeutet eine interessierte und engagierte Community aufzubauen und wie wichtig es ist, einen persönlichen Kontakt zu unseren Kund*innen nicht nur aufzubauen, sondern auch beizubehalten.

Wie fühlt es sich an, ein eigenes Unternehmen zu führen? Hat euch Limala als Menschen verändert?

Wir sagen immer: Limala hat uns nach Hause zu uns selbst gebracht.
Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal mein eigenes Unternehmen gründen und führen würde. Das liegt sicher daran, dass ich mir persönlich früher nicht zugetraut habe, den vielseitigen Aufgaben gerecht zu werden. Ich – beziehungsweise wir – befinden uns in ständiger Herausforderung, Neues und uns noch Unbekanntes zu lernen und das erfolgreich in unsere Arbeit zu integrieren. Limala erfüllt mich mit Stolz und Zuversicht. Auch wenn die Selbständigkeit immer wieder Unsicherheiten mit sich bringt, ist es ein sehr befreiendes Gefühl, selbstbestimmt zu arbeiten und sinnstiftend seiner Vision und Mission treu zu bleiben. Wir beide haben durch Limala definitiv an Selbstvertrauen gewonnen und wachsen über unsere Grenzen hinaus. Für mich persönlich ist Limala mein Empowerment.

Wo findest du deine Inspiration?

Inspiration finde ich in den unterschiedlichsten Bereichen: in Gesprächen mit meinem Mann oder meinem Freundes- und Familienkreis, in Büchern die ich lese oder aber auch in bestimmten Denkansätzen, die mir im Laufe meines Studiums begegnet sind. Vor allem schöpfe ich aber meine Inspiration für Limala aus den zahlreichen Reisen, die ich durch Marokko gemacht habe. Vor allem das ländliche, einfache und bescheidene Marokko ist für mich wertvoll. In dieser Umgebung kann ich auf besondere Weise mit offenem Herzen den Teil meiner Herkunft fühlen und betrachten, der in Marokko liegt und mich dabei selbst de-centern, de-kolonialisieren und Geschichten erfahren, die die Sehnsucht nach meinen eigenen Wurzeln stillen. Meine Bikulturalität ist meine größte Ressource und Quelle von Inspiration.

Mehr Infos zu Limala und ihren wunderschönen Teppichen findest du in Limalas Onlineshop.

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